Lesen am Meer – Eindrücke einer ganz besonderen Veranstaltung
von Susanne Siems
Vom 5. Bis 9. April 2024 fand der Boltenhagener Bücherfrühling zum 24. Mal statt.
Es goss wie aus Eimern, als die Gäste am Freitagnachmittag im Aura-Hotel „Ostseeperlen“ ankamen. Von Freitag bis Dienstag sollte es Lesungen und Autorengespräche geben. Viele der Gäste waren nicht zum ersten Mal da und wussten, worauf sie sich freuen konnten. Aber auch einige neue Literaturfreunde waren angereist. Vorwiegend kamen die Besucher aus Mecklenburg, Schleswig-Holstein und Hamburg. Aber auch Berliner und Sachsen waren dabei. Zwei Autorinnen und 4 Autoren lasen und erzählten aus Ihren Büchern und ihrem Leben. Das Publikum dankte es mit besonderem Interesse, selbst der Blick aus dem Fenster zum Meer von denen, die es noch sehen konnten, war nicht Flucht, sondern gesteigerte Aufmerksamkeit.
Freitagabend, vielleicht noch regennass, betrat Robert Brack (Pseudonym) aus Hamburg die Bühne. Er las aus seinem aktuellen historischen Kriminalroman „Schwarzer Oktober“, der in den zwanziger Jahren in Hamburg spielt. Am Samstagmorgen konnten die Literaturfreunde auf unterhaltsame Art viel aus dem Leben des Autors erfahren, auch so manches Überraschende. Moderiert wurde dieses Gespräch von Jürgen Trinkus, der den Bücherfrühling gemeinsam mit Klaus Düsterhöft aus Gadebusch vor vielen Jahren ins Leben rief.
Natürlich konnte man sich alle Bücher, die die Buchhandlung aus Gadebusch am Büchertisch anbot, auch vom jeweiligen Autor signieren lassen.
Der Rest des strahlend sonnigen Frühlingstages stand zur freien Verfügung. Es gab unter den Hotelgästen auch erste Verrückte, die sich das Anbaden in der Ostsee nicht nehmen ließen.
Am Abend begrüßte Jürgen Trinkus den tschechisch-deutschen Autor Jaroslav Rudis. Der war mit der Eisenbahn angereist, aus guten Grund. Sein Faible für die Eisenbahn ließ die Zuhörer die Ärgernisse mit der Deutschen Bahn recht schnell vergessen. Jaroslav Rudis spricht hervorragend deutsch und hat einen liebenswerten, hintersinnigen Humor. Besonders angetan hatte es den Gästen sein Buch „Gebrauchsanweisung für das Zugfahren“. Über den Charme tschechischer, aber auch Schweizer Züge und wie durch das Zugfahren das Gefühl, Europäer zu sein, wächst, erfuhren alle mehr am Sonntagvormittag.
Am Sonntagnachmittag stellte der aus Zingst stammende Autor und Journalist Bert Lingnau seine gesammelten historischen Kriminalfälle vor. Das ach so friedliche Mecklenburg -Vorpommern zeigte sich dabei durchaus von einer verbrecherischen Seite. Moderator war an diesem Nachmittag Thomas Abel, seit vielen Jahren Teilnehmer des Bücherfrühlings.
Sonntagabend dann Eugen Ruge. Sein Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ war vor über zehn Jahren ein Bestseller. In Boltenhagen aber las er aus seinem aktuellen Buch „Pompejj“. Sprachgewaltig, dem Duktus des alten Rom angepasst, fragte sich der Zuhörer schnell: Geht es hier denn eigentlich um Pompeij? Oder sind wir doch in der Gegenwart? Oder hat sich einfach über die Jahrtausende im menschlichen Handeln und Denken nur wenig geändert?
Montag früh ging es dann vor allem um den autobiographisch geprägten Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichtes“, einer deutsch-russischen Familiengeschichte die im zweiten Weltkrieg in der damaligen Sowjetunion begann, uns kurzzeitig nach Mexiko führte und zur Jahrtausendwende endet.
Montagnachmittag dann Helga Schubert, die vielleicht bekannteste Autorin dieses Ostseeperlen-Bücherfrühlings. Tief bewegt war das Publikum von ihrem Buch „Der heutige Tag – Ein Stundenbuch der Liebe“. Sie erzählt darin von ihrer 24-Stunden Pflege für Ihren 97jährigen Ehemann, mit so viel tief empfundener Liebe aber auch Humor. Bei einem so schweren Thema kaum vorstellbar.
Im Autorengespräch, dass die langjährige Bücherfrühlingsteilnehmerin Heike Thiel einfühlsam führte, erfuhren die Besucher viel über ihr bewegtes Leben in beiden Teilen Deutschlands.
Die letzte, aber keinesfalls langweilige Autorin war Jana Scheerer, die aus Ihrem 2024 erschienenen Roman „Die Rassistin“ las, einer bitter-bösen Groteske. Es jeder Minderheit rechtmachen wollen, immer korrekt sein, Genderwahn und Angst vor Diskriminierung, das sind die Themen, die dahinter stecken. Am Dienstagmorgen lernten wir Jana Scherer dann noch von einer ganz anderen Seite kennen – sie ist eine begabte Kinderbuchautorin.
Der 24. Bücherfrühling ist auch eine Wende. Die beiden Gründer und Moderatoren von Beginn an – Jürgen Trinkus und Klaus Düsterhöft – ziehen sich aus der aktiven Gestaltungsarbeit zurück. Der Förderverein des Deutschen Zentrums für barrierefreies Lesen wird – mit der Koordinatorin Susanne Siems – ab dem kommenden Jahr die Planung und Organisation übernehmen, natürlich wie bisher in Kooperation mit dem Aura-Hotel „Ostseeperlen“ und der Kurverwaltung Boltenhagen, die seit einigen Jahren diese Veranstaltung finanziell und mit guter Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Dank sei an dieser Stelle den Wegbereitern gesagt und für die neuen Gestalter viel Glück gewünscht. Dank auch für die hervorragende Bewirtung durch das Hotel und dank auch an das schöne Wetter, das den Regenguss am Beginn der Veranstaltung schnell vergessen ließ.